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05.07.18 –
Simbach. (nik) Einer, der sich nicht nur in seinem direkten Wirkungskreis einen Namen gemacht hat, reist gerade durch Bayern. Christian Meyer, ehemaliger Landwirtschaftsminister und aktuell stellvertretender Vorsitzender der Grünen-Landtagsfraktion in Niedersachsen, war maßgeblich an der neuen Düngeverordnung beteiligt. Nicht selten steht er dafür im Kreuzfeuer der Kritik. Doch das macht ihm nichts aus. Denn nach jeder klärenden Diskussion stellt er fest, dass die Ziele der scheinbaren Kontrahenten ähnliche, wenn nicht sogar die gleichen, sind. Die Inhalte seiner Vorstellung von der „sanften Agrarwende“ stellte er in Niederbayern auf dem Böckel-Hof in Simbach vor.
Die Probleme der Landwirtschaft sind längst bekannt: Nähr- und Mineralstoffmangel in den Lebensmitteln, Qualitätsverlust durch lange Lagerzeiten und Transportwege, Gesundheitsbeeinträchtigung durch resistente Keime, Ausbeutung und Misshandlung von Tieren, verseuchte Gewässer, Artensterben; vom Landwirte- und Landschaftssterben an sich mal ganz abgesehen. Doch Landwirtschaft ist nicht gleich Landwirtschaft. Mittelständische, kleine und Kleinstbetriebe sind nämlich kaum mit Massenzuchtbetrieben, Intensivtierhaltungen und Agrarmagnaten zu vergleichen. „Über 90 Prozent arbeiten ordentlich“, sagt Christian Meyer. „Das Problem sind die Großen.“
Deshalb muss ein Umdenken her, eine neue Wertschätzung harter Arbeit, eine „sanfte Agrarwende“; weg von der konventionellen, hin zur ökologischen Landwirtschaft. So sollen laut Meyer in Großunternehmen andere Gesetzmäßigkeiten gelten als in kleineren. Er steht für Bürokratieabbau bei Betrieben unter 60 Hektar, unter 50 Kühen und unter 50 Milligramm Nitratbelastung. Fördergelder für aktiven Naturschutz und nicht für die landwirtschaftliche Nutzung im Allgemeinen. Und eine ehrliche, klar erkennbare Kennzeichnung tierischer Erzeugnisse. „Am Ende klappt´s!“ zwinkert Meyer motivierend.
Er nennt Erfolgsbeispiele aus seinem Bundesland. „Bei uns bekommt ein Landwirt, der eine Kooperation mit einem Imker eingeht, 100 Euro“, sagt der Vizelandtagsfraktionschef. „Die Zahl der Blühstreifen neben den Feldern hat sich verdoppelt.“ Und mit ihnen das Nahrungsangebot für Insekten und Vögel. Artenschutz par excellence. Ein anderes Beispiel sind die Hühner-Traktoren. Mobile Hühnerställe werden in bestimmten zeitlichen Abständen über die Wiese gefahren. Weil sich das Huhn stets nah am Stall aufhält, vermeiden die Landwirte so die Konzentration der nitratreichen Ausscheidungen. Auch diese Maßnahme wird gefördert. Mit dem Ergebnis, dass sich „drei Mal so viele Hühner im Freiland wie im Käfig befinden“, sagt Meyer. Stichworte hierfür: Gewässerschutz und Freilandhaltung.
Apropos Huhn. Dass jeder einzelne Lebensmittelkonsument direkten Einfluss auf die Landwirtschaft nehmen kann, zeigt kaum etwas deutlicher als ein Eierkarton. „Hier gibt es eine klare Deklaration in Klassen“, so Meyer. Das sind die ökologische, die Freiland-, Boden- und Käfighaltung. „Niemand entscheidet sich bewusst für Käfighaltung.“ Und wenn es der Verbraucher schon nicht tut, muss es der Landwirt auch nicht. Deshalb wünscht sich Meyer besagte einfache und ehrliche Kennzeichnung. Er ist überzeugt davon, das Quälen, Verstümmeln und „billig Verramschen“ von Lebewesen damit eindämmen zu können.
Ökolandbau in der Praxis
Einen Vorzeigebetrieb der Ökolandwirtschaft besuchte Meyer mit dem von Christine und Peter Aigner. Die beiden bewirtschaften den Böckel-Hof in der vierten Generation und haben nach kurzzeitigem konventionellem Betrieb des Vaters wieder auf ökologische Landwirtschaft umgestellt. Im Nebenerwerb beackern sie knapp fünf Hektar Land und ein Hektar Wald. Weitere fünf Hektar stehen dem Vieh zur Verfügung. Das sind ein Stier und vier Kühe, die in Mutterkuhhaltung leben, sowie fünf Hühner und zwei Hähne. Christine Aigner, Kräuterpädagogin und Grünen-Direktkandidatin für den Bezirkstag, führt zudem den hauseigenen Hofladen, wacht über das Vier-Generationenhaus und engagiert sich in der Asylarbeit. Dass man Rindviechern die Hörner absägt, Schweinen die Schwänze abdrosselt, Enten die Schnäbel abbrennt und Pestizide auf Feldern ausbringt, können die Aigners schlicht nicht verstehen. Für sie gibt es dafür neben der ethischen Verwerflichkeit auch keinerlei Notwendigkeit.
Und doch spritzen sie auch. Brühe zum Beispiel. Es gibt kaum ein Kraut, das die Fachfrau nicht zu einem wirkungsvollen Supperl verarbeiten könnte. Meist ist aber nicht einmal das nötig. Denn in der Schädlingsbekämpfung setzen die Aigners auf die Einhaltung einer bestimmten Fruchtfolge (Kleegras, Roggen, Weizen), Netze über Obstbäume und die Förderung natürlicher Feinde. Der Verlust dadurch ist kalkuliert. „Mit dem, was bleibt, kann man sich trotzdem zufrieden geben“, sagt Peter Aigner.
Nicht zufrieden wären die beiden allerdings mit Produkten minderwertiger Qualität. Sie vermarkten unter den strengen Richtlinien vom „Naturland“, einem Verband, der für weit mehr steht als es die Öko-Verordnungen des Bio-Siegels fordern. Natürlich stellt Christine Aigner daher auch als Politikerin höchste Anforderungen an sich, ihre Kollegen und die Gesellschaft.
Neben ihr als Direktkandidatin gehen Mia Goller und Rudi Schöberl als Listenkandidaten für Bündnis 90/Die Grünen in die Bezirkstagswahl. Marlene Schönberger ist Direktkandidatin für den Landtag. Wenn auch jeder einen anderen Schwerpunkt vertritt, nehmen gewiss alle Anwesenden die Ausführungen Christian Meyers mit in ihr Wahlprogramm auf. Denn bessere Bedingungen für Mensch und Tier im Einklang mit der Natur wollen am Ende doch eigentlich alle. Oder nicht?
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