Neues Denken in der Flüchtlingspolitik – Menschlich, ganzheitlich, vorausschauend

Katrin Göring-Eckardt, Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen, beschreibt in nachfolgendem Papier wie grüne Flüchtlingspolitik funktioniert – menschlich, ganzheitlich und vorausschauend.

27.07.17 –

Katrin Göring-Eckardt, Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen, beschreibt in nachfolgendem Papier wie grüne Flüchtlingspolitik funktioniert – menschlich, ganzheitlich und vorausschauend.

Dazu erklärt sie: „Wir brauchen ein neues Denken in der Flüchtlingspolitik. Der Umgang mit einer wachsenden Zahl von Flüchtlingen weltweit muss als Daueraufgabe verstanden werden. Grenzkontrollen alleine sind keine Lösung, das sagt auch Frontex. Es braucht eine Gesamtstrategie und keine Abschottung, damit Flüchtlinge Alternativen jenseits der lebensgefährlichen Flucht über das Mittelmeer erhalten. Die Bundesregierung hat die letzten 18 Monate nicht genutzt, um Deutschland und die Strukturen auf Bundesebene zu optimieren und es ist ihr nicht gelungen, Europa in der Flüchtlingsfrage wieder zusammenzuführen. Aussitzen geht nicht, weil Kriege, Globalisierung und Klimakrise als Ursachen von Flucht nicht verschwinden werden."

 

Papier "Neues Denken in der Flüchtlingspolitik – Menschlich, ganzheitlich, vorausschauend" (Kurzfassung):

Flucht und Migration werden uns auch in den nächsten Jahren begleiten. Jedem, der wirklich hinschaut, ist das klar. Weltweit sind weiterhin 65 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Gründe für ihre Flucht sind vielfältig, viele davon werden so schnell nicht verschwinden. Nur eine relativ geringe Zahl von Flüchtlingen erreicht derzeit Europa, über Italien und Griechenland. Doch Europa wiederholt die Fehler, die vor zwei Jahren das Dublin-System in Europa ad absurdum geführt haben. Die europäischen Regierungen - einschließlich der großen Koalition in Deutschland - versuchen aus Angst vor Stimmungen das Geschehen zu verdrängen und von ihren Bevölkerungen fernzuhalten. Das kann und wird nicht funktionieren. Flucht lässt sich nicht „aussitzen“ oder gar aussperren. Flucht und Migration machen keine Pause. Und Versäumnisse in der Integration lassen sich nur schwer wieder aufholen. Wir Grüne verstehen Flucht und Migration als Daueraufgabe. Auf diese Herausforderung muss Deutschland menschenrechtlich, verlässlich, vorausschauend und mit einem ganzheitlichen Ansatz reagieren: Im Inneren mit dauerhaft tragenden Strukturen, ausreichend Personal und effizienten Verfahren und unter Einbeziehung der vielen Ehrenamtlichen und Engagierten, ohne die Unterbringung und Integration nicht funktionieren würde. Im Äußeren mit mehr Engagement, um Geflüchteten auf dem langen Weg nach Europa auch jenseits einer Flucht nach Deutschland Alternativen anzubieten. Grüne außenpolitische Maßnahmen:

1. Sichere Fluchtwege:
Wir müssen das Sterben im Mittelmeer beenden. Dazu brauchen wir großzügige, langfristige und glaubwürdige Kontingente zur Aufnahme von Geflüchteten etwa im Rahmen des Resettlement-Progamms des UNHCR. Ein klares und beruhigendes Signal an die Geflüchteten, dass eine reale Chance auf Aufnahme in Europa besteht – jenseits der lebensgefährlichen Flucht über das Mittelmeer. Der faire Anteil Deutschlands wird sich an dem vom UNHCR errechneten Bedarf ausrichten.

2. Erstaufnahmeländer und Transitländer unterstützen:
Deutschland muss die Nachbarstaaten von Herkunftsregionen, die Transitländer und Erstaufnahmestaaten, besser unterstützen. Flüchtlingen eröffnet das Alternativen zur Flucht. Unterstützung bedeutet verlässlich mehr finanzielle Mittel bereitzustellen und deren Verbleib auch zu kontrollieren. Dabei müssen menschenwürdige Aufnahmebedingungen und Integrationsperspektiven in diesen Ländern gewährleistet werden.

3. EU-Initiative zur Verteilung von Geflüchteten:
Deutschland muss mehr tun gegen die Blockade der gemeinsamen europäischen Flüchtlingspolitik durch nationalistische Regierungen einiger Mitgliedstaaten. Wer sich weigert, sollte mindestens finanzielle Kompensation leisten müssen.

4. UN-Pakt zu Flucht und Migration:
Die UN-Mitgliedsländer sollten den Umgang mit Geflüchteten und ihre Verteilung vertraglich festlegen. Die UN-Mitgliedsstaaten sollten außerdem in einen gemeinsamen Flüchtlingsfonds einzahlen. Im Bedarfsfall kann so die Flüchtlingsunterbringung insbesondere in den Anrainerstaaten besser finanziert werden.

 

Grüne innenpolitische Maßnahmen:

1. Schnelle und faire Asylverfahren:
Geflüchtete sollten in wenigen Wochen wissen, ob sie in Deutschland Schutz genießen oder das Land wieder verlassen müssen. Fast & Fair-Verfahren mit unabhängiger und realistischer Rechtsberatung beenden die langen Wartezeiten.

2. Rückführungen unter dem Primat der freiwilligen Rückkehr:
Auch wer abgelehnt wird, muss fair und menschenrechtlich behandelt werden. Jede Abschiebung ist mit großen menschlichen Härten verbunden. Die freiwillige Rückkehr hat für uns daher Vorrang vor Abschiebungen. Abschiebungen in Krisen- und Konfliktregionen wie nach Afghanistan sind für uns inakzeptabel.

3. Integration von Tag eins:
Sprache, Arbeit, Bildung: Das sind die drei Säulen einer zukunftsfähigen Integrationspolitik. Wir wollen eine qualitativ hochwertige Sprachförderung und werden ausländische Bildungs- und Berufsabschlüsse schneller und großzügiger anerkennen. So wollen wir Menschen so schnell wie möglich gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt verschaffen. Es muss ein verlässliches Bleiberecht während und nach der Ausbildung gewährleistet werden. Wir werden die sogenannte Bleibeperspektive“ als Grundlage der Integrationspolitik abschaffen. Zur Integration gehört auch die Vermittlung von gesellschaftlichen Werten und Normen. Grundlage dafür ist das Grundgesetz.

4. Kommunen besser unterstützen:
Wir werden Kommunen und Gemeinden so stärken, dass sie gemeinsam mit den Engagierten und den Geflüchteten selbst die Integration voranbringen können; etwa durch die Gewährung einer kommunalen Integrationspauschale, die von den Ländern an Städte und Gemeinden zu zahlen ist. Das Wirrwarr der Zuständigkeiten wollen wir mit einem zentralen Ansprechpartner überwinden und fordern dafür kommunale Integrationszentren, die aus einer Hand beraten. Wir wollen die Kommunen vom bürokratischen Aufwand des Asylbewerberleistungsgesetzes entlasten durch bundesweite Einführung der Gesundheitskarte.

5. Einwanderungsgesetz einführen:
Damit Menschen nicht fälschlich in das Asylsystem drängen, brauchen wir ein modernes Einwanderungsgesetz. Es hilft Fachkräftelücken zu schließen und hat Bedarf und Interessen unseres Landes genauso im Blick wie die der Einwandernden. Mit einer „Talentkarte“ sollen sich gut qualifizierte Fachkräfte binnen eines Jahres in Deutschland einen Job suchen können.

6. Kultur des Hinsehens:
Probleme bei der Integration müssen beschrieben und benannt werden, gerade auch um Mythenbildung und Legenden vorzubeugen. Importierter Antisemitismus und ein obsoletes Verständnis der Rechte von Frauen sind Nährboden für strafbares Verhalten. Straftaten werden bestraft. Auf Kriminalität reagiert der Rechtsstaat.

Deutschland braucht heute eine Flüchtlings- und Migrationspolitik aus einer Hand, die auf die Zukunft gut vorbereitet ist und das auch bleibt. Ein Migrations- und Integrationsministerium auf Bundesebene wäre ein Mittel, diesen ganzheitlichen, menschenrechtlichen und vorausschauenden Ansatz zu befördern.

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