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12.09.19 –
Viele der Geflüchteten sind durch ihre Erlebnisse im Herkunftsland und auf dem Fluchtweg schwer traumatisiert. Diese Menschen werden in Massenunterkünften enorm psychisch belastet, erleiden zum Teil schwerwiegende Retraumatisierungen und erleben die Verfestigung vorhandener psychischer Leiden. Besonders schutzbedürftige Gruppen wie Frauen und Kinder, Opfer von Frauen- bzw. Menschenhandel, Menschen mit Behinderung, schwer traumatisierte Personen und Schwule, Lesben und Transgender (LGBTI) sind massiven Diskriminierungen und Gefahren ausgesetzt. Sie erleben soziale Ächtung, sexuelle Belästigungen und Gewalt bzw. Androhung von Gewalt durch Sicherheitsdienste, aber auch durch Mitbewohnerinnen und Mitbewohner.
Diskriminierung und Gewalt sind ein spezifisches Problem in Massenunterkünften. Je größer die Einrichtung ist, desto häufiger kommt es zu gewalttätigen Übergriffen. ANKER-Einrichtungen zeichnen sich aus durch
· Anonymität,
· mangelnde Privat- und Intimsphäre,
· fehlende Schutz- und Rückzugsmöglichkeiten,
· keine abschließbaren Sanitär- und Schlafräume,
· gemeinsame Nutzung von Zimmern mit Fremden.
Dazu kommen ein hoher Geräuschpegel, der Mangel an Tagesstruktur und Beschäftigung, die Kasernierung und Isolation von der Gesellschaft „draußen“, eingeschränkte Rechte und die kontinuierliche Kontrolle der Privaträume. So entstehen Aggression und Stress durch den schrittweisen Verlust von Würde und Autonomie und in der Folge eine totale Perspektivlosigkeit.
Durch Überwachung, massive Kontrollen, Besuchsverbote und Stacheldrahtzäune werden Geflüchtete kriminalisiert. Die Abschottung hat zur Folge, dass den Bewohnerinnen und Bewohnern der wichtige Kontakt zur Bevölkerung und zur Unterstützerszene versperrt bleibt. Damit will die Söder-Regierung offensichtlich Integration von vorneherein bekämpfen. Sie versucht, Proteste der Bevölkerung gegen die Behandlung/Unterbringung der Asylsuchenden und gegen Abschiebungen von proaktiv zu unterbinden. Das Konzept der ANKER-Einrichtungen zielt unverhohlen auf Abschreckung, Isolierung und Kriminalisierung von Geflüchteten.
Wir Landtags-Grünen fordern eine menschenwürdige Aufnahme von Geflüchteten, faire Verfahren, Stärkung der Potenziale und Integration und Teilhabe von Anfang an. Die Asylsuchenden müssen von Beginn an in ihrer Autonomie gestärkt werden, ihr Leben in der Aufnahmegesellschaft selbst zu gestalten. Dazu ist der Kontakt zur Bevölkerung, zur Unterstützerszene und zu den vorhandenen Beratungsstellen unabdingbar.
Grüne Forderungen für eine menschenwürdige Aufnahme:
1. Beschleunigte und faire Asylverfahren durch Rechtsbeistand vom ersten Tag an
Sofort nach der Registrierung erhält jeder Asylsuchende einen Rechtsbeistand, um das Verfahren fairer und effizienter zu gestalten und zu beschleunigen. Die Schweiz hat damit nachweislich sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Verfahrensberatung durch das BAMF ist nicht ausreichend.
2. Begrenzung des Aufenthalts in der Aufnahmeeinrichtung auf 3 Monate
Nach ihrer Ankunft werden die Asylsuchenden in Erstaufnahmeeinrichtungen für maximal 300 Personen und mit abschließbaren Wohneinheiten für höchstens drei Monate untergebracht (vgl. dazu § 44 AsylG: mind. 6 Wochen, höchstens 6 Monate). In den Erstaufnahmeeinrichtungen finden Sozialberatung, Rechtsberatung, Erstorientierungskurse sowie Sprachkurse statt. Der Personalschlüssel für die Sozialberatung beträgt 1:50. Kochgelegenheiten, Spielräume und -plätze für Kinder, Aufenthaltsräume mit W-LAN sind zu stellen. Ehrenamtliche und Besucherinnen und Besucher haben Zugang zu den Erstaufnahmeeinrichtungen.
3. Besonders schutzbedürftige Gruppen
Nach der Registrierung werden die Asylsuchenden einem systemischen Screening unterzogen, um besonders schutzbedürftige Gruppen nach Art. 21 der EU-Aufnahmerichtlinie zu identifizieren. Wir zählen auch LGBTI zu den besonders schutzbedürftigen Gruppen. Sie müssen entsprechend ihren besonderen Bedürfnissen untergebracht werden, ggf. in gesonderten Schutzeinrichtungen bzw. -häuser
4. Gewaltschutz in den Erstaufnahmeeinrichtungen verankern
In den Erstaufnahmeeinrichtungen werden Stellen für Gewaltschutzkoordinatorinnen und -koordinatoren zur Prävention und Verhinderung von Gewalt bzw. Gewaltandrohung geschaffen. Dies betrifft nicht nur Maßnahmen im Fall von Gewalt bzw. Gewaltandrohung gegen Frauen, sondern bezieht sich auch auf Menschen mit Behinderung und LGBTI sowie interkulturelle Konflikte. Das Gewaltschutzkonzept der Söder-Regierung greift hier zu kurz. Prävention und Verhinderung von Gewalt reduzieren die Polizeieinsätze, die viele Geflüchtete als beängstigend und traumatisierend wahrnehmen. Interkulturelle Mediation kann Gewalt zusätzlich eindämmen.
5. Dezentrale Unterbringung in abgeschlossenen Wohneinheiten auf kommunaler Ebene
Die Kommunen stellen überschaubare dezentrale Unterkünfte mit abgeschlossenen Wohneinheiten und guter Verkehrsanbindung/Infrastruktur zur Verfügung. Von einer Mehrfachbelegung in einem Zimmer mit Fremden ist abzusehen. Jede Wohneinheit verfügt über eine Kochgelegenheit. Containerunterkünfte lehnen wir ab. Jede Unterkunft verfügt zudem über eine Sozialberatung. Mit der dezentralen Unterbringung fällt der enorme Sicherheitsaufwand – Sicherheitsdienste, Eingangskontrollen, Kontrollen der Privaträume und Stacheldrahtzäune – weg. Damit wird zudem das Gewalt- und Konfliktpotenzial in den Unterkünften erheblich reduziert. Dies fördert die Akzeptanz in der Bevölkerung.
6. Aufhebung des Sachleistungsprinzips in allen Unterkünften
Das Sachleistungsprinzip in den Unterkünften ist aufzuheben. Das Sachleistungsprinzip entmündigt die Betroffenen und verhindert eine autonome und freie Lebens- und Alltagsgestaltung sowie Teilhabe an der Gesellschaft. Selbstversorgung betrifft auch die Gestaltung von sozialen Beziehungen und dient der Integration. Dem widerspricht die rigide Anwendung des Sachleistungsprinzips. Die Leistungen für Essen 26 und Kleidung sind bar auszuzahlen, von Vollverpflegung in den Unterkünften ist abzusehen, damit die Leistungsempfänger ihren Alltag selbst und ihren Anliegen entsprechend gestalten können.
7. Schulpflicht für Kinder durch Besuch der Regelschule erfüllen
In Bayern besteht für alle Kinder Schulpflicht – auch für Kinder von Asylsuchenden. Die Schule dient nicht nur der Entwicklung des Kindes, sondern ist auch ein Ort der Integration und Teilhabe, auch für die Eltern. Die Beschulung in den ANKER-Einrichtungen ist nicht nur rudimentär, sondern verhindert die gesunde Entwicklung und die soziale Teilhabe des Kindes mit gleichaltrigen deutschen Kindern. Deshalb fordern wir den Schulbesuch in den Regelschulen vor Ort von Anfang an.
Die nächsten Schritte
Am 26.September 2019 findet eine Expertenanhörung des Verfassungsausschusses zum Thema ANKER-Einrichtungen in Bayern statt. Wir werden nach dieser Anhörung ein Antragspaket einbringen und die Söder-Regierung auffordern, zu einen humanen Flüchtlingspolitik zurückzukehren.
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