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Ich bin nie aggressiv gewesen

30 Jahre lang hat Gisela Floegel dem Vilsbiburger Stadtrat angehört, die ersten 18 Jahre davon als Einzelkämpferin der Bürger- und Umweltliste. Die in Hamburg aufgewachsene Kommunalpolitikerin, Urgestein der Vilsbiburger Grünen, ist inzwischen 75 Jahre alt.

18.05.20 –

30 Jahre lang hat Gisela Floegel dem Stadtrat angehört, die ersten 18 Jahre davon als Einzelkämpferin der Bürger- und Umweltliste. Die in Hamburg aufgewachsene Kommunalpolitikerin, Urgestein der Vilsbiburger Grünen, ist inzwischen 75 Jahre alt. 1970 renovierten sie und ihr Mann Alex den Resthof in Kurzbach, in dem sie unter anderem, die erste Umweltmesse in der Stadt organisiert und die mit ihren Töchtern Kathrin und Stefanie wohnten. Nach dem Tod ihres Mannes baute Gisela Floegel 2012 an der Herrnfeldener Straße das erste Plusenergiehaus innVilsbiburg. Floegel ist seit 1974 im Verein der B15neu-Gegner aktiv. Als politische Erfolge verbucht sie für sich die Initiative „Bürgerbegehren ortsnahe Umgehung jetzt“ angestoßen zu haben.

Vilsbiburger Zeitung: Frau Floegel, hätten Sie sich vorstellen können, eines Tages mit Schutzmaske zum Einkaufen gehen zu müssen?

Gisela Floegel: Nein, nie. Zunächst habe ich das Thema lockerer genommen. Inzwischen wissen wir alle natürlich mehr.

Fällt es Ihnen schwer, die Regeln, die wegen des Coronavirus gelten, einzuhalten?

Eigentlich nicht. Und persönlich bin ich auch total entspannt, und muss mir auch keine beruflichen Sorgen machen. Aber ich denke an die vielen Frauen, die jetzt einen Großteil der gesellschaftlichen Arbeit übernehmen: Sie betreuen Kleinkinder und Schulkinder und müssen gleichzeitig ihren ihrem Beruf nachgehen. Da zeigen sich die Schwächen des Systems: Das, was etwa mit „homeschooling“ gut gemeint war, war leider nicht gut vorbereitet. Meine Kritik richtet sich dabei aber nicht gegen die Schulen, sondern die politisch Verantwortlichen.

Gibt es auch etwas Positives aus Ihrer Sicht?

Gut ist, dass die Gesundheit Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen hat. Die betroffenen Unternehmer müssen schon unterstützt werden. Aber wichtig ist, dass der Wirtschaft nicht einfach Geld gegeben wird, ohne Bedingungen zu stellen. Gut ist aus meiner Sicht, dass sich im Zuge von Corona der Flugverkehr verringert hat. Und so sollte es bleiben. Die Franzosen unterstützen zwar ihre Air France, aber unter der Bedingung, dass der CO2-Ausstoß verringert wird und Kurzstreckenflüge gestrichen werden.

In einem Interview hat Ihr Parteifreund Boris Palmer kürzlich zum Thema Corona folgendes gesagt: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“ Was sagen Sie zu Palmer, der immerhin Oberbürgermeister von Tübingen ist?

Das ist ein heftiger Fauxpas! Ich möchte ihm keine Böswilligkeit unterstellen. Man muss aber seine Worte gut abwägen, erst recht als Oberbürgermeister.

Bürgermeisterin waren Sie nie. Aber Sie saßen 30 Jahre lang im Stadtrat. Was war Ihr erster Gedanke, als am Wahlsonntag, am 15. März, klar wurde, dass Sie es diesmal nicht mehr in den Stadtrat geschafft haben?

Ich habe eine Whatsapp verschickt: Tschüss Stadtrat!

Angelika Stumpf und Dr. Manfred von Dewitz sind nun im Stadtrat. Sie selbst landeten auf Platz fünf, weil Sie beinahe 300 Stimmen weniger erhielten als von Dewitz. Wurmt es Sie nicht, dass Sie trotz Zugewinnen der Partei selbst verloren haben?

Schon. Ich hätte auch noch gern weitergemacht und meinen Abgang als Kommunalpolitikerin selbst bestimmt.

Wie erklären Sie sich das Ergebnis?

Von Dewitz ist gesellschaftlich integrierter und bekannter. Er hat mehr Katzen geimpft als ich.

Aber Sie sind doch das grüne Aushängeschild in Vilsbiburg.Ist vielleicht Ihre Art Politik zu machen, überholt?

Nein, ich denke grüne Politik muss auch weiter zukunftsweisend, kreativ und verantwortungsvoll sein.

Aber Sie sind doch 30 Jahre lang im Stadtrat gewesen. Und das immer mit Herzblut.

Vielleicht nehmen mir auch manche Leute etwas übel.

Was denn?

Vielleicht diese Baumgeschichte.

Es ist die Geschichte von der Linde außerhalb Ihres Grundstücks, die Sie ohne Genehmigung stutzen ließen. Wie kamen ausgerechnet Sie als Grüne auf diese Idee? Es muss Ihnen doch klargewesen sein, dass das bekannt wird.

Ich dachte, das merkt eh keiner. Es waren doch nur ein paar Äste, die ich habe entfernen lassen. Der Linde geht es übrigens hervorragend: Sie wächst, blüht und gedeiht. Bei der Stadtverwaltung hatte ich beantragt, dass der Baum beschnitten wird. Es hieß, man könnte die Linde beschneiden, aber sie benötige das nicht.

Warum benötigten Sie das?

Wegen des Hauskonzepts. Das ganze Haus, ein Plusenergie-Haus, ist nach Süden ausgerichtet und erzeugt mehr Energie , als es verbraucht. Das funktioniert natürlich nur, wenn es unverschattet ist. Und die Stadt hat dieses Haus schließlich gefördert.

Wie erklären Sie das den Bürgern? Wer im Stadtrat sitzt, genehmigt Bürgern Anträge oder verweigert sie ihnen. Und Sie sind hergegangen und haben sich über das, was aus der Verwaltung kam, hinweggesetzt. Auch wenn es nur einige Äste waren, die Bürger müssen doch den Eindruck bekommen, dass da mit zweierlei Maß gerechnet wird. Hatten Sie da später nicht selbst das Gefühl, etwas falsch gemacht, womöglich ein falsches Signal gesetzt zu haben?

Das war zweifellos ein Fehler. Aber ich habe eine vierstellige Geldbuße gezahlt und 4 neue Bäume am Färberanger als Schadenersatz finanziert, damit müsste das Vergehen abgegolten sein.

Blicken wir viel weiter zurück. Als Sie politisch aktiv wurden, waren Sie Anfang 30.

Ich war 33, als ich zum ersten Mal kandidiert habe. Das war 1978 auf Platz 33 der SPD-Liste. Ich war zuvor sogar mal stellvertretende Juso-Vorsitzende, von insgesamt Vieren.

Aber lange haben Sie es bei den Sozialdemokraten nicht ausgehalten. 1980 sind Sie zu den neugegründeten Grünen gegangen.

Ich wollte sozial etwas bewegen, aber mit den alten Herren von der SPD ging das nicht, und Umweltschutz war damals noch ein Fremdwort.

Wie hat sich Vilsbiburg in den vergangenen 30 Jahren verändert?

Vilsbiburg ist offener geworden. Es hat unheimlich viele Zuzüge gegeben, das anfängliche Abschotten gegen Fremde hat sich, auch durch die großen Firmen, verändert.

Was meinen Sie mit Abschotten gegen Fremde?

Es geht um Leute, die nicht aus der Region kommen. Bei mir hieß es: Da ist eine Auswärtige und will mitreden. Und dann ist sie auch noch eine Frau, bei den Grünen und gegen die B15 neu.

Die Diskussion um die B15 neu ist ein Paradebeispiel für viele Wortgefechte, die Sie sich geliefert haben. Die Auseinandersetzungen mit dem damaligen Bürgermeister Josef Billinger (SPD) und Gerhard Nord von der CSU sind legendär.Da sind zwei Welten aufeinandergeprallt.

Auf jeden Fall. Ganz am Anfang wurde regelrecht Krieg gegen mich geführt.

Das ist jetzt aber starker Tobak. Sie selbst haben doch auch ordentlich ausgeteilt. Sie waren ja nicht gerade als kompromissbereit bekannt, viele haben gesagt, Sie seien aggressiv.

Das ist eine Zuschreibung, die nicht zutrifft. Ich argumentiere sehr sachlich und ohne Brimborium. Ich bin halt direkt. Aber ich bin nie aggressiv gewesen, habe nie jemanden persönlich angegriffen. Es galt ja schon als aggressiv, wer nur eine abweichende Meinung vertritt. Josef Billinger hat mich sogar als Lügnerin bezeichnet. Die politischen Gegner haben so versucht, mich auszubremsen. Für sie war es ungewöhnlich, dass sich eine Frau zu Wort meldet, „a zuazogne Greane“ noch dazu. Frauen hatten aus deren Sicht nichts zu sagen. Das gehört aber auch zu den Dingen, die sich in Vilsbiburg erfreulicherweise geändert haben, auch wenn sie immer noch nicht zur Hälfte im Stadtrat vertreten sind.

Wie sind Sie mit Kritik umgegangen?

Man legt sich ein dickes Fell zu. Mein „Wappentier“ ist die Schildkröte, sie geht langsam voran und lässt sich nicht verletzen. Das hat die anderen auch so geärgert, dass ich das durchgestanden habe. Aber es war ja nicht nur dramatisch. Besonders hat mir gefallen, mitreden und mitentscheiden zu dürfen.

Wie steht es um Ihre Kompromissbereitschaft?

Ich bin kompromissbereit. Aber bei einem Thema wie der B15 neu kann man nur sagen: Ich bin dafür oder dagegen. Und ich bin eindeutig dagegen. Ich habe für die Alternative gekämpft und 1995 die Initiative „Bürgerbegehren ortsnahe Umgehung jetzt“ angestoßen. Denn die B15 neu ist für die hügelige Vils-Landschaft wirklich grausam. Leben auf dem Land, inmitten von Landwirtschaft und Natur, ist ja, warum wir hergekommen sind. Damals gesamt Stadtrat war sich einig: Wir wollen eine Autobahn. Nachdem Kurzbach in 100 Meter Entfernung von der geplanten Trasse lag, war mein Widerstand natürlich entfacht. Dass er 46 Jahren dauern würde, und mich heute noch beschäftigt, konnte niemand ahnen.

Fühlten Sie sich im Stadtrat auf verlorenem Posten?

Öfters.

Der andere Einzelkämpfer damals war Helmut Haider von den Freien Wählern.

Mit Haider zusammen bin ich 1990 in den Stadtrat gekommen, da waren wir beiden die Exoten. Wir wurden aus allem rausgehalten, waren in keinem Ausschuss vertreten, und unsere Wortmeldungen wurden mit Gegrummel quittiert. Wenn ich mich zu Wort gemeldet habe, ist das schon als Aggression aufgefasst worden. Dass ich mich nicht habe einschüchtern lassen hat mir andererseits aber auch Anerkennung gebracht. Deswegen bin ich Jahre vorher, 1984, auch als erste Grüne in den Kreistag gekommen, dem ich bis 2014 angehörte.

Helmut Haider wurde Bürgermeister. Verhielt er sich geschickter, politisch moderater als Sie?

weniger angreifbar zumindest.

Welchen zählen Sie zu den größten politischen Erfolgen der Grünen in Vilsbiburg, an denen Sie maßgeblich beteiligt waren?

Die ortsnahe Umgehung

Und die schmerzlichste Niederlage?

Dass es keine Bäume am Stadtplatz gibt. Als ich vor ziemlich genau 50 Jahren das erste Mal durchs Vilsbiburger Stadttor gegangen bin, habe ich gesagt: Wow, so ein toller Stadtplatz! Aber voller Autos. Gehe ich heute durchs Tor durch: So ein schöner Stadtplatz - und voller Autos. Eine echte Verkehrsberuhigung dort haben wir Grünen bisher nicht geschafft. Da waren die Widerstände zu heftig.

Blicken wir nach vorn: Können Sie sich vorstellen, dass sich das politische Leben in Vilsbiburg mit der neuen Bürgermeisterin Sibylle Entwistle maßgeblich ändert?

Ich hoffe es. Und setze auch auf den ISEK Prozess.

Sie haben jetzt viel Zeit. Haben Sie keine Sorge, in ein Loch fallen zu können?

Nein. Das Engagement für meine Wahlheimat hängt ja nicht am Stadtratsmandat. Ich saniere das Denkmalhaus in der Oberen Stadt, in dem ich fünf neue, kleine Sozialwohnungen schaffen will. Außerdem bin ich noch Ortsvorsitzende der Grünen und als Vereinsvorsitzende der B15 neu Gegner gibt es genug Arbeit mit dem Planfeststellungsverfahren. Mit Organisation von foodsharing, garteln und radeln wird mir nicht langweilig.

Nun sind wir wieder bei der Corona-Pandemie. Wie beurteilen Sie die Umsetzung der Vorgaben in Vilsbiburg?

Ich denke, dass die Leute sehr diszipliniert sind. Es gab hier auch keine Proteste gegen die Einschränkungen. Ein paar Jugendliche sind zurechtgewiesen worden. Wir haben aber Glück, dass die AfD nicht für den Stadtrat kandidiert hat. Wenn sie kandidiert hätten, wären sie bestimmt drin und würden auch mit dem Thema Corona ihr politisches Süppchen kochen.

Auf was kommt es jetzt Ihrer Ansicht nach an, bei Corona?

Die Schulen und Kinderbetreuung wieder in Gang zu bringen. Dafür setzt sich auch Bürgermeisterin Entwistle ein. Da hat sie auch Recht. Und deshalb ist es gut, dass wir jetzt eine Frau an der Spitze der Stadt haben. Denn sie hat eine andere Sicht als die männliche Mehrheit.

Kandidieren Sie 2026 wieder als Stadträtin?

Nein. Ich werde nicht wieder kandidieren.

 

Interview: Siegfried Rüdenauer

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